
Little John und the Red Light
Nichtsahnend sitze ich Mittwochsmorgens beim Frühstück, als mich das militante Piepen meines neuen Nachrichtentones meinen Skyrmatsch fast katapultartig an die Küchentischlampe klatschen lässt. Mit zitternden Fingern probiere ich anschließend mindestens fünf Mal die Fingerabdruck-Entriegelung meines Phones, aber Skyr verändert halt den Fingerabdruck, so dass ich schließlich entnervt mit dem Ärmel interveniere. Endlich meines Telefones Herr – oder Frau, wie man das gerne so hätte – erreicht mich der erstickt geschriebene Schrei von Mia.
„No. Nonononono. No. Er ist es nicht.“
Ich schreibe zurück: „Haha, war die an mich? Von wem redest du?“
Sie tippt, dann erscheinen die Worte: „John. Ich rede von John. Du weißt schon, little John?“ auf dem Bildschirm. Mein linkes Augenlid beginnt bereits zu zucken. (1)
„Und von wannen ward euch solche Weisheit?“ frage ich nun, nur halb scherzhaft.(2)
„Ich war ja bei John zu Hause…“ schreibt sie und während ich noch zurück tippe, ruft sie an. „Und es war grau-en-haft!“ betont sie ausgedeht und ich höre noch den latent bestehenden Schockzustand. In mir spielen sich fantastische alternative Realitäten ab.
„Wie? Was? Unsauber? Hässliche Gardinen?“ frage ich.
„NEIN, schlimmer!“ keucht sie und ich glaube, ein unterdrücktes Würgen wahrzunehmen.
„Keine Leichen?!“ murmele ich.
„Nein, jetzt sei nicht krass.“, sagt sie.
„Ich bin nicht krass.“ sage ich.
„Doch, eigentlich immer.“ sagt sie und ich verliere die Geduld: „Jetzt red‘ schon! Warum hat little John keine Dreimonatsfrist verdient?“
Mia setzt mit einem tiefen Luftholen zu einem längeren Exkurs an: „Also, als ich reinkam, da war ich schon irritiert. Du kennst doch so Dates, da ist erst alles toll, aber dann passiert so irgendwas und auf einmal fallen deine Eierstöcke in Schockstarre und es ist irreparabel vorbei?“
„Du meinst so wie mit Daniel, dem Nashornmann? Oder dem Typen, der dir ins Waschbecken gekotzt hat?“ Sie grunzt zustimmend: „Nja.“
„Mmmh.“ Ich denke an Monas Dr. Eisenpimmes.
„Ja, so war’s mit John’s Wohnung.“ Und dann erläutert sie das Ausmaß der Misere. Nicht nur John war eher klein, auch seine Wohnung konnte das Label „Zweizimmerwohnung“ nur mit Liebe aufrecht erhalten. Das an sich ist ja kein Problem, Platzbedarf ist ja subjektiv. Mia wohnt allerdings auf großem Fuß. Wo bereits an der Tür das Two and a Half Men Poster prangte (was bei Mia eigentlich mehr Ein- als Ausdruck gemacht hat, immerhin war das eines ihrer gemeinsamen Themen) waren zwei Drittel der Butze nur spartanisch eingerichtet und grundsätzlich auf so etwas wie ein ansatzweise stimmiges Gesamtkonzept zugunsten der neuverteilten Jugendzimmermöblierung verzichtet worden.
„Naja, Geschmack..“ setze ich an.
„Jaja,“ unterbricht sie mich: „Das war alles noch ok. Klar, die Wand hatte große Flecken wo das alte Sofa gestanden hatte und der Teppich wellte sich, aber das wäre ja nicht sooo schlimm gewesen. Im Studium habe ich auch mal Ein Jahr so ähnlich gewohnt.“ Ich verzichte darauf, ihr zu sagen, dass der Mann definitiv das dreifache verdient von ihrem Bafögsatz und über 40 ist. Sie klingt so schon niedergeschlagen genug. John hatte sie echt begeistert. Ich fühle mit ihr.
Mia ist schon eher ein schöngeistiger Typ, der auf Blumen und sowas steht. Dass John nicht eine einzige lebende Pflanze besaß und mit den Worten „Die sterben bei mir eh nur“ auch seine Pflegeeigenschaften im Minusbereich ansiedelte, war da ein tragischer Seitenhieb. Richtig schlimm wurde es aber erst, als sich die Küche als eine minimal eingerichtete Kochnische herausstellte, die aussah, als habe jemand es noch nicht geschafft, den explodierten Topf Bolognese wieder einzusammeln oder einen Besteckkasten zu kaufen. Ich seufze mit einem Blick auf mein Skyr. Vielleicht hat sie ihn auch nur erschreckt?
„Aber das es war ja leider noch nicht! Das BAD!“ Mias Stimme überschlägt sich fast. „Da war Rolllaminat drin, das sich an dem 50er Jahre Fliesenspiegel hochgerollt hat. Und da drunter – oh du ahnst es nicht. Auf dem Boden eine dicke Schicht aus Staub und Barthaaren – Ich habe immer gewartet, dass irgendwas „Mama?“ zu mir sagt.“
„Infam.“ sage ich mit Nachdruck und bin wirklich etwas angewidert.
„Ach hör auf!“ motzt sie.
„War das alles?“ frage ich.
„Nein!“ schluchzt sie am anderen Ende weinerlich. „DAS SCHLAFZIMMER!“
Ich bin versucht, meinen Kopf auf die Tischplatte zu schlagen. „Oh bitte.“ stöhne ich. „Das SCHLAFZIMMER,“ beginnt sie bedeutungsschwanger „sah aus, wie eine Abstellkammer. Rechts neben dem Bett ein zerlegter Tisch und ausgelesene Zeitungen, oben auf dem Schrank Kartons über Kartons von seinen Hobbies und, anstatt eines Beistelltischchens das Angelmagazin der letzten 15 Jahre auf einem Stapel und mir gegenüber ein monströser Röhrenfernseher und ein riesiger TEDDYBÄR.“
„Oh Gott.“ – spätestens jetzt bin auch ich entsetzt. Kuscheltiere. Nichts tötet jegliche Libido so gründlich, wie flauschige Knopfaugen am Bett – sofern man erwachsen und halbwegs konventionell-sexuell gepolt ist.
„Und du hast trotzdem bei ihm übernachtet?“ bringe ich raus.
„Ja.. ich wusste nicht, ob ich nicht überreagiere.“ gibt sie kleinlaut zu Protokoll.
„Mmmh.. naja. Hast du ihm schon mitgeteilt, dass sein nicht vorhandener Nesttrieb dich so gründlich abgeschreckt hat?“
Sie verneint, gelobt Besserung und nach kurzem Themawechsel sitze ich wieder allein mit meinem Skyr am Tisch. Ich betrachte den riesigen Skyrfleck auf der Tischplatte und frage mich zum wiederholten Male, was bei Menschen schief läuft, die keinen eigenen Nesttrieb entwickeln, egal wie lange sie allein sind und wie sie wohnen. Angeblich sollen Männer da ja grundsätzlich weniger empfindlich sein, aber ich kenne reichlich Gegenbeispiele, wo die Kerle definitiv ordentlicher und geputzter sind als die Mädels und beide Geschlechter völlig gleichberechtigt zu Klimbim und durchgestyltem Wohnen neigen.
Ich nippe an meinem lauwarmen Kaffee. Vielleicht ist es doch eine Frage der Persönlichkeit.
In diesem Moment klingelt das Telefon noch einmal.
„Ja?“
„Und weißt du was das schlimmste war?“ Ich zucke die Schultern, irritiert, und versuche, mich nicht an meinem Kaffee zu verschlucken.
„Er hatte zwar Flecken an den Wänden, Risse im Teppich und eine völlig verpekte Küche, aber seine Beleuchtung konnte er über seine Apple Watch und Smart Home steuern. Und rate, welche Glühbirnenfarbe er im Schlafzimmer in seine Tiffanylampe eingesetzt hatte.“
„Nicht im Ernst.“ Mir schwant Böses.
„ROSA.“
„Boah Mia.“
„Ja, oder?“
Das Telefonat endet mit einer stillen Schweigeminute für John; John, der eine Frau finden muss, die so unfassbar begeistert von seiner stimmgesteuerten rosa Schlafzimmerbeleuchtung ist, dass sie sogar die mit ihr kommunizierende Baddreckschicht adoptieren möchte.
(1) [Als wichtige HIntergrundinfo sollte man vielleicht erwähnen, dass Mia, ihres Zeichens wirklich smart und wenn auch eher unkonventionell so dennoch recht hübsch, ein fast so mieses Talent zur Männerfindung hat, wie ich. Wir beide schaffen es immer, die besonderen Pflänzchen in einem Raum von Normalos zu orten. Man sollte uns beim Geheimdienst beschäftigen. „Sagen Sie schon, wer kann’s nicht gewesen sein?!“ Dieses Mal hatte sie sich John angenommen. John, von mir liebevoll „Little John“ getauft, da der gute Mann der nur leicht überdurchschnittlich großen Mia bis etwa zur Nasenspitze reichte. Er war lieb, keine Frage, intelligent, sehr witzig, zugewandt und auch ein bis dato guter Konversionalist – sofern meiner einer das überhaupt beurteilen konnte – gewesen. Aber halt für mich als Riesin schon eher niedlich und irgendwie latent ein bisschen seltsam. Fand ich. Mia fand ihn total zucker und hatte ihn nach dem zweiten Treffen mit nach Hause genommen. Das zweite Treffen bei ihr hatte trotz großer Begeisterung bereits leichte Zweifel ob ihrer Kompatibilität aufgeworfen, aber auch das wurde erstmal zugunsten näherem Kennenlernen ignoriert. Irgendwie schwammen die beiden auch von außen betrachtet zunächst sehr auf einer Welle.]
(2) [Genau wie ich tendiert nämlich auch Mia dazu, an einen „Partner in Crime“, einen „Typen zum Pferde und andere Tiere stehlen“ und den „Typen aus meiner Vision letztens“ zu glauben. Anders als ich denkt sie aber, er könne auch in little John verborgen liegen. Ich bin mir sicher, dass sie damit größere Erfolgschancen hat als ich latent oberflächliches Wesen. Sie ist auch davon überzeugt, dass sie jedem, den sie auch nur ansatzweise geil findet, eine ausgedehnte Chance geben sollte, also Monatelang. Und so überraschte mich diese Nachricht, nach nur drei Wochen und dem gerade mal dritten Treffen schon ziemlich.]